Samstag, 23. Mai 2009
Sonne pur bei 21 Grad
Sonne pur bei 21 Grad
9. Etappe: Neu Wulmsdorf – Wulmsdorf – Buchholz - Handeloh
Tagesstrecke: 35 km
Gesamtstrecke: 250 km
Wanderweg: E1
Gesamtstrecke: 250 km
Wanderweg: E1
Ich war schon frisch geduscht und munter um 8 Uhr beim Frühstück, das eine
große Auswahl hatte. Ich war längst nicht der Erste an diesem Morgen - die
Tische waren schon gut besetzt. Ich hatte nicht den Eindruck, dass es einer
dieser Gäste versucht hatte, nachts zuvor den Hotelpreis durch exzessives Bier
trinken zu reduzieren. Letztlich wusste ich es aber auch nicht, denn als ich um
8.30 Uhr das Hotel verlassen hatte, hätten ja noch Bierleichen in den Betten
hängen können.
Ich deckte mich in Neu-Wulmsdorf mit Proviant ein und kaufte auch noch
einige Postkarten. Das bedeutete immer wieder, Rucksack ab-Rucksack auf.
Überhaupt dauert es immer recht lange, bevor ich so richtig ins wandern komme.
Meiste kaufe ich noch was ein, irgendwas passt nicht am Rucksack, oder die
Schuhe müssen nochmals neu geschnürt werden. So kann dann auch mal schnell eine
Stunde vergehen, bevor ich so richtig in Tritt gekommen bin, so wie auch heute.
Den E1 musste ich gestern bei Fischbek verlassen, um zum „Biertrinker“
Hotel zu gelangen. Meine erste Aufgabe an diesem nun schon fortgeschrittenen
Morgen lautete also, den E1 wieder zu finden. Es ging sanft Bergauf Richtung
Wulmsdorf, vorbei an Kornfeldern. Der Himmel war knallblau und auf einer Anhöhe
konnte ich im Norden das Elbufer und Blankenese erkennen. Hamburg ade, dachte
ich und sollte mich täuschen, bevor ich in einen Wald abbog. Denn Hamburg würde
ich später nochmals sehen. So wanderte ich durch einen Kiefernwald, indem immer
wieder Lichtungen mit kleinen Wochenendhäusern waren. Hier und da stand zudem
noch ein Wohnwagen auf den Grundstücken. Als ich mich ein wenig umguckte, hörte
ich eine dumpfes brummen am Himmel. Erst konnte ich nicht ausmachen, wo es
genau her kam. Doch dann, im blauen Himmel weiß strahlend, erkannte ich die Geräuschquelle:
Über mir flog recht niedrig ein A380. Das Flaggschiff, obwohl ein Flugzeug, von
Airbus. Es musste kurz zuvor in Finkenwerder abgehoben sein. 2005 hatte Airbus
den ersten Testflug unternommen und im
Herbst 2007 hat Singapore Airlines die erste Maschine dieses Typs in Dienst
stellen können. Mittlerweile gibt es über 134 dieser fliegenden Riesen am
Himmel. Ich war erstaunt, wie langsam wirkend das riesige Flugzeug über mich
hinweg flog, auch die Lautstärke war nicht so groß, wie man es sonst kannte.
Leider konnte ich den Flieger nicht lange im Auge behalten, denn die Bäume
versperrten mir freien Blick gen Himmel.
Kurze Zeit später entdeckte ich an einem Holzpfosten ein angemaltes weißes
Kreuz, ich war also wieder auf dem E1. Es ging immer weiter durch den Wald.
Aufgrund des Schattenwurfes der Bäume hatte ich nicht so viel von der wärmenden
Sonne. Einzig der Geruch des Waldes, wenn er sich aufwärmte, lag in meiner
Nase. Ich mag diesen Geruch, der mich auch an meine Kindheit erinnert. Der Wald
gegenüber meinem Elternhaus war ja mein Spielplatz und so habe ich die Gerüche
der Jahreszeiten eines Waldes verinnerlicht. Was meine Nase noch aufnahm, war
weniger schön. Der diesjährige Heuschnupfen meldete sich an. Ich hatte damit
nicht gerechnet und demzufolge auch keine Medikamente mitgenommen. Abgesehen
davon hatte ich in den letzten Jahren eh keine genommen, außer ab und an mal
eine Zyrtec Filmtablette, die wohl unregelmäßig
eingenommen, wenig bringt. Als Kind und bis zum Alter von 28 Jahren
habe ich sehr gelitten und teilweise mit kalten Waschlappen auf den Augen im
Bett gelegen.
Der Wald nahm kein Ende. Wald, Wald……Wald. Blick in die Ferne nicht
vorhanden. Ich konzentrierte mich darauf, einen Wegweiser zu erhaschen, um mir
selbst zu bestätigen, auf dem richtigen Weg zu sein. Meine Gedanken gingen aber
auch in eine andere Richtung. Das Haus, welches meine Ex-Frau und ich im Jahre
1996 gemeinsam erbauten, würde ich dieses Jahr zum August alleine beziehen. Was
würde das mit mir machen, Erinnerungen an gute wie schlechte Zeiten. Unsere
Tochter wurde in dem Haus geboren, beide Kinder sind in ihm aufgewachsen. Ein
so junges Haus und doch schon so voller Geschichte. Noch war nichts
unterschrieben, noch konnte alles am Geld oder Unwillen scheitern. In Phasen
der Langeweile kamen diese Gedanken immer wieder zutage, mein Gepäck im Kopf.
Auch wenn ich es nicht wollte, wieder und wieder kamen diese Gedanken
überfallsartig.
Als ich auf meine Karte schaute, hörte ich schon in der Ferne die Autobahn
A1, die ich zu überqueren hatte. Eine kleine Brücke, auf der ich einige Zeit
verweilte, überspannte die A1, die immer noch zur sechsspurigen „Rennbahn“
ausgebaut wurde. Wenn ich auf dem Weg Richtung Hamburg oder Bremen auf der
Autobahn bin, freue und erinnere ich mich gerne an dieser Stelle, an meine Tour
2009.
Lange nachdem ich die Brücke verlassen hatte, hörte ich noch die Autos und
Lastkraftwagen auf der Autobahn. Endlich, kurz vor Buchholz, hatte ich mal
einen freien und weiten Blick, da ich den Wald verlassen hatte. Ich kam etwas
erhöht auf Buchholz zu und konnte die Stadt, die ja immerzu im Verkehrsfunk,
wegen dem Buchholzer Dreieck, genannt wird, sehen. Ehe ich mich versah, war ich
auch schon mittendrin im Stadttrubel. In Städten waren die meisten Wegweiser an
Laternenmasten geklebt oder befestigt und recht gut zu finden. Es gibt jedoch
Ausnahmen. Hier seien nur zwei genannt. Schleswig-Holstein zum Beispiel. Als
ich 2008 meine Tour von Flensburg nach Wedel machte, war gerade Wahlkampf zur
Kommunalwahl. Die zu wählenden Politiker aller Lager hingen grinsend mit
markigen Slogans auf Wahlplakaten an Laternenmasten. Diese meist genau auf der
Höhe, auf der auch die Wegweiser angebracht waren, und verdeckten diese. So war
ich auch damit beschäftigt, hinter die „Politiker“ zu gucken, was man
eigentlich öfter machen sollte! In diesem Zusammenhang möchte ich wieder mal
auf „Nischenwissen“ aufmerksam machen: Am heutigen Tage wurde in Berlin das
Oberhaupt der Deutschen wieder gewählt, Herr Köhler trat dann gut ein Jahr
später zurück und Herr Wulff folgte ihm, bekanntlich nicht sehr lange.
In Buchholz war es nicht die Politik-Prominenz, die die Wegweiser ab und an
verdeckten, es waren die Kamele eines Zirkusses, der in der Stadt gastierte.
Politiker und Kamele, irgendwie schloss sich hier der Kreis. Trotz aller
Widrigkeiten kam ich gut am anderen Ende der Stadt an und bemerkte, dass ich
schon ganz schon müde Beine bekommen hatte. Als ich dann auch noch auf meine
Karte schaute, überlege ich eine Weile. Irgendwas konnte da nicht stimmen. Zum einen
war ich schon so lange unterwegs und zum anderen hatte ich laut Karte erst die
zweidrittel meiner Tagesetappe hinter
mir. Ich hatte mir 28 Kilometer errechnet. Es war nun schon 16 Uhr, und es
waren bestimmt noch über zwei Stunden, was zusammen genommen neun Stunden
ergab, oder auch 36 Kilometer. Acht Kilometer Differenz! Panik, Unglaube und
Irritation stieg in mir auf. Ich musste zuerst das Hotel anrufen, um meine
späte Ankunft zu melden. Die nette Dame am Hörer meinte dann, das sei kein
Problem, denn eine Hochzeit würde stattfinden und man wäre sicher bis 3 Uhr am
Feiern. Oh ha, im Hotel eine Feier, da wird der Schlaf wohl unruhig. Vielleicht
sollte ich gleich mitfeiern. Apfel in den Mund und weiter, weiter durch den
Wald. Mitten im Wald kam ich auf eine große freie Fläche, in deren Mitte eine
Erhöhung war, die wiederum mit Heide bewachen war. Der Brunsberg, 129 Meter
hoch, sollte nun bestiegen werden. Ich hätte auch unten rumgehen können, doch
die „Besteigung“ wollte ich mir nicht entgehen lassen. Nach gleichmäßigem
Anstieg war es nach 15 Minuten geschafft. Der Blick war, begünstigt durch
Wetter und Sonnenstand, hervorragend. So war es erst jetzt soweit, Hamburg
Lebewohl zu sagen. Zum Abschluss machte dann noch ein kleiner Junge ein
Beweisfoto von meiner Brunsberg Besteigung.
Auf dem „Abstieg“ verspürte ich
Schmerzen in den Hüften, die mit jedem Schritt anstiegen. Auch meine
Oberschenkel fingen an, mir ein Zeichen zu geben, dass es nun genug sei. Nutzte
alles nichts, ich musste weiter. Der Schmerz in den Hüften wurde plötzlich
immer schlimmer, von Schritt zu Schritt. Ich blieb stehen, fühlte und ging
weiter. Bleib erneut stehen und massierte die rechte Hüfte. Das tat gut, jedoch
nur für die nächsten 500 Meter. „Da muss was kaputt sein“ dachte ich mir. Und
kaputt wäre nicht so passend. Rucksack abgeschnallt, Mobilat raus, Hose runter,
Hüfte eincremen und massieren. Weiter. Dieser Akt wurde bis nach Handeloh
dreimal wiederholt.
Das Hotel lag direkt an der Straße und genau so direkt an
einer Bahnlinie. Im Gastraum angekommen, schleppte ich mich erst mal an die
Theke und bestellte ein Bier. Die Hochzeit war schon im vollen Gange. Überall
schick gekleidete Frauen und mittendrin die Braut. Der Bräutigam hatte schon
ganz rote Backen und sah sehr glücklich aus. Die Braut kam dann zur Theke, im
Schlepptau eine ganze Menge anderer Frauen. Mir war es etwas peinlich, in
meinen Wanderklamotten da zu sitzen und dreckig vom Tag mein Bierchen zu
trinken. Jedoch störte sich niemand an meiner Anwesenheit, und ich hatte sogar
die Gelegenheit, die junge Braut zu beglückwünschen, bevor sie wieder im Saal
verschwand. Wenn ich erst mal gesessen hatte, kam ich kaum wieder auf die
Beine. Ich frage dann nach dem zweiten Gerstensaft, wo mein Zimmer sei. Ein
älterer Herr, wohl der Seniorchef, sagte mir dann, dass ich aufgrund der
Hochzeit nicht im Hotel schlafen könnte. Hmm, wo dann, schoss es mir durch den
Kopf. Der Senior zeigte Richtung Bahnhof Handeloh, wo sich ein kleines Haus
befand und eine Aufschrift trug: „Dat ole Bahnhus“. Hier waren noch Fremdenzimmer, vom dem ich
eins beziehen konnte. Wunderbar, die Feier konnte so ohne mich stattfinden,
tanzen hätte ich mit meiner Hüfte eh nicht können.
Meine ganze Aufmerksamkeit galt nun meinem geschundenen Körper. Ich
pflegte, salbte und massierte ihn. Ich hatte großen Hunger und so quälte ich
mich zu einem Gasthaus auf der anderen Seite der Bahn, aß dort im Freien
Hähnchenbrust und Bratkartoffeln. Es wurde kalt, meine Hüfte immer
schmerzhafter, trotz weiterer Biere. Ich schlich zum „Bahnhus“, cremte meine
Hüfte vor dem Zubettgehen abermals ein und hoffte, dass mich in dieser Nacht
ein Schamane behandeln würde, um die 10. Etappe folgen zu lassen. Gut war ja,
dass ich direkt in Bahnhofsnähe schlief. Ich könnte also, sollte ich morgen
immer noch diese Schmerzen haben, direkt in einen Zug steigen und zurück in die
Heimat fahren. Das war der Trost, mit dem ich einschlief.
Richtung Wulmsdorf ging es leicht Bergauf an Kornfeldern vorbei.
Das weiße Kreuz bedeutete, dass ich wieder auf dem E1 war, natürlich im Wald!
Der A 380 überflog mich, in niedriger Höhe, recht leise. Das Bild habe ich nicht gemacht, kommt aus dem Netz, aber der Blick war genau so.
Ein kleiner Junge machte dieses Bild auf dem 129 Meter hohen Brunsberg. Den Himmel fand er wohl besonders schön! Von hier aus, habe ich Hamburg nur noch erahnen können.
Im Erdgeschoss dieses ehemaligen Bahnhofhäuschens, habe ich die Nacht abseits der Feierlichkeiten zu einer Hochzeit verbracht und auf den "Schamanen" gewartet.
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